Hallo
In dem ersten Bw, in dem ich tätig war, wurde einmal eine 101.6 am Schluß eines Nahgüters zur Revision losgeschickt (natürlich nicht den ganzen Laufweg- das wären so um die 200 km gewesen). Der Lokführer dürfte seine helle Freude an der Fuhre gehabt haben, weil der Schlußläufer unterwegs eine Zuglaufstörung wegen undichter Hauptluftleitung verursacht hatte. (Zu den Geschwindigkeiten beim Abschleppen siehe hier- evtl. muß erst oben links "Hier geht es zu gewünschten Seite" angeklickt werden:
http://www.drehscheibe-foren.de/foren/read.php?17,5518257,5518257#msg-5518257 .) Da die Maschine nicht fahrbereit war, wird sie den Rest des Weges auch irgendwie weitergeschleppt worden sein.
Bleibt die Frage, warum wurden die Kisten überhaupt geschleppt und fuhren nicht selbst? Oben hat jemand von einer RAW- Fahrt einer V 15 im Schlepp einer 119/219 berichtet. Es gab bei der Reichsbahn die Vorschrift, daß die Lokomotiven betriebsfähig im RAW eintreffen sollen (was nicht automatisch heißen muß, daß sie auch mit eigener Kraft hinfahren müssen). Der Alltag war aber anders: Bei dem akuten Ersatzteilmangel in manchen Bw'en wurde rigoros alles Brauchbare ausgebaut, was nicht mit der Lauffähigkeit der Lokomotive zu tun hatte. Es gab nur eine unumstößliche Regel: Die Lok mußte vollständig im RAW ankommen. Also wurden brauchbare Teile abgebaut und durch kaputte/defekte/Schrott- Teile ersetzt. Diese Geschichte hatte Ausmaße angenommen, die man sich heute nicht mehr vorstellen kann. Wir haben 120er ins RAW geschickt, nachdem die Hälfte der Zylinderköpfe und Laufbuchsen ausgebaut und durch völlig zerstörte Tauschteile ersetzt wurden, die mit Sicherheit im RAW sofort in den Schrott gewandert sind: Hauptsache, alle Teile waren 1:1 vorhanden. Der Höhepunkt war eine "Ausschlachtaktion" eines fremden Bw's so um 1985/86, bei der eine 120, die zur Revision anstand, von miteinander befreundeten TU- Gruppenleitern "brüderlich" geteilt wurde. Wir sind mit einem Barkas B 1000 hingefahren und haben 3 Zylinderköpfe, 2 Laufbuchsen, einen Notstop vollständig und noch ein paar Kleinteile "erbeutet", die wir natürlich durch mitgebrachte Schrotteile ersetzt haben. Die Alt/Schrott- Teile wurden nicht etwa eingebaut, sondern immer im Maschinenraum verteilt (Arbeitsaufnehmer im RAW Cottbus muß damals kein schöner Job gewesen sein).
Die Vorschrift, daß die Maschinen "betriebsfähig" im RAW ankommen sollten, wurde also in der harten Praxis der Deutschen Reichsbahn in "vollständig anlangen" umgewandelt und der sicherlich aufkommende Widerstand der RAW daran scheiterte an den Sachzwängen, mit denen die Bw zu kämpfen hatten.
Nach vielen Gesprächen mit Kollegen zeigte sich aber diesbezüglich eine gewisse Tendenz auf: Große Bahnbetriebswerke waren nicht so sehr vom Ersatzteilmangel betroffen wie kleinere; praktizierten also nicht immer diese Art von Ersatzteilbeschaffung und schickten tatsächlich auch betriebsfähige Diesellolokomotiven zur Revision.