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Historisches aus dem Archiv des Stedelebener Kreisboten

Stedeleben

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Großbommeln
Verehrtes Publikum,

immer mal wieder tauchen als Seitenfunde bei Archiv- und Bibliotheksrecherchen unserer Redaktion Nachrichten, Meldungen oder Berichte über erstaunliche Begebenheiten auf, die lang, ja sehr lang zurückliegen. Der Kreisbote will künftig in dieser Rubrik, sofern es sich anbietet oder von allgemeinem Interesse sein könnte, solche Dokumente einem breiteren Leserkreis neu zugänglich machen. Allen gemein ist freilich der Zusammenhang zur Eisenbahn in deren ersten beiden Epochen.


Beginnen wollen wir mit einer Tabelle, welche auf den Tag genau heute vor 160 Jahren,
am 26. November 1857, im Berliner Börsen-Courier erschien, der Wochen-Beilage der Berliner Börsen-Zeitung. Sie gestattet dem verkehrsgeschichtlich Interessierten einen faktenreichen Überblick über die bedeutendsten deutschen Eisenbahngesellschaften des Jahres 1857 sowie ihre wirtschaftliche Entwicklung gegenüber dem Vorjahre. Ziel der Veröffentlichung auf Seite 5 war es, potentiellen Kapitalanlegern Hinweise auf lukrative Aktienkäufe zu geben.

Berliner_Boersen-Zeitung_1857-11-26_5.jpg
 
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Verehrter Leser 53 Null Null Eins, wenn man im Betrachter rechts oben das Symbol "In einem neuen Fenster anzeigen" nutzt, sollte sich die hinreichende Vergrößerung der Datei leicht bewerkstelligen lassen.
 
Welch interessantes Fundstück! Nur ist die Lesbarkeit des digitalen Abbildes durch technische Begrenztheiten unseres Clubhauses doch arg eingeschränkt. Mit einem Detailgrad von gerade nur 1200 x 800 Bildpunkten. Bei vermuteter Originalgröße des Papieres nach Deutscher Papiernorm A3[1] errechnet sich ein unzulängliches Zeilenraster der Digitalphotographie von lediglich 68,3 zu 72,6 Bildpunkten je Zoll. Dies ist fürwahr zur komfortablen Recherchiere der geboten Informationen, zumal der Schriftsetzer des geschätzten Börsenblattes seinen Auftraggeber bislang nicht von den Vorzügen moderner Errungenschaften, wie der Barock-Antiqua-Type überzeugen konnte.

Zur Illustration des Problems, möchte ich das folgende Bild befügen:
unscharf.png

[1] Was eine verwegene Annahme ist, da der Normenausschuß der deutschen Industrie doch erst im Jahre 1917 gegründet wurde.
 
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Bevor der Tag sich dem Ende zuneigt, wollen wir noch mittels eines Zeitungsschnipsels eines Ereignisses gedenken, das sich am 26. November vor 150 Jahren zugetragen. Die kurze Nachricht erschien zwei Tage später im Görlitzer Anzeiger vom 28. November 1867.

Goerlitzer_Anzeiger_1867_11_26_S2.jpg

Anmerkung: Die in der Meldung erwähnte "Pforte" stand als Synonm für die "Hohe Pforte" und als solche für den Sultanspalast von Konstantinopel beziehungsweise die Regierung des Osmanischen Reichs. Der Bau der Strecke quer durch Anatolien mit überwiegend britischem Kapital sollte den Handelsweg nach Indien verkürzen. Allerdings wurde er dann zurückgestellt, da die aufkommende Dampfschifffahrt den Transport zunächst beschleunigte und verbilligte, und die Eröffnung des Suez-Kanals 1869 den tausende Seemeilen weiten Umweg ums Kap der Guten Hoffnung unnötig machte.
 
Man könnte das Projekt sicherlich als Vorgängerplanung ansehen, auch wenn bis zur Bagdad-Bahn noch Jahrzehnte vergehen sollten. Diese wurde dann allerdingsmit deutschem und französischem Kapital im Auftrag der osmanischen Regierung gebaut, die 1872 den deutschen Ingenieur Wilhelm Pressel engagierte, ein gesamttürkisches Eisenbahnnetz zu konzipieren, dessen Teil die Bagdad-Bahn letztlich wurde.
 
Es mag für Modelleisenbahner tröstlich sein: Schon in früheren Zeiten hatte man gewisse Probleme bei der Vermeidung von Kollisionen auf eingleisigen Strecken, und auch damals gab es bereits interessante Lösungsansätze. An der nachfolgenden Meldung aus der Beilage des Teltower Kreisblattes vom 10. Dezember 1887 dürften manche ihre helle Freude haben. Vielleicht reizt es ja jemanden von den echten Freaks, dieses Zugsicherheitskonzept nachzubauen? Es muß ja nicht gleich Quecksilber sein ...

Bei dem in der sinnigerweise unter "Vermischtes" abgedruckten Nachricht erwähnten Dr. Lecher handelt es sich im übrigen um den später als Begründer der Hochfrequenz-Meßtechnik berühmt gewordenen österreichischen Physiker Ernst Lecher.

Teltower_Kreisblatt_10_Dezember_1887.jpg
 
Interessante Idee, wobei mir unklar ist wie Dr. Lechers Lokführer den Sicherheitswagen im Konfliktfall steuern soll, also wenn sich tatsächlich zwei Züge im selben Gleisabschnitt befinden. Beim zehnsekündigen Grübeln über dieses Problem taucht sobald die nächste Frage auf: Warum ein Sicherheitswagen, wenn man eine Kurzschlusserkennung verbauen könnte? Tja, gute alte Zeiten, in denen man es mit urtypischen Schnapsideen in die landesweite Presse gelangte. Ja, wahrscheinlich wurde diese Idee genau in bierseeliger Stimmung einem all zu leichtgläubigen Journalisten in den Notizblock diktiert. Ja oder der Dr. Lecher zielte überhaupt nicht auf Kollisionen zweier Züge, sondern auf Kollisionen mit Tieren und Straßenfahrzeugen. Wer weiß. Unterhaltsam jedenfalls, ohne jede Frage.
 
Das Wappen von Grinzing...
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...war wohl wirklich nichts mit dem Bier... Wobei! Wer weiß! Vielleicht war der Herr Doktor Rebell?
 
Wir verweilen noch ein wenig im Jahr 1887. Der nächste Zeitungsausschnitt dieser Serie führt uns ins Hoheitsgebiet der Königlich Preußischen Eisenbahn-Direktion Bromberg und erinnert uns daran, daß Eisenbahnunfälle in früheren Epochen wesentlich häufiger waren als heute. Der Artikel der Vossischen Zeitung erschien heute vor 130 Jahren, also am 8. Dezember 1887, und wirft ein interessantes Streiflicht auf die sozialen und juristrischen Konsequenzen eines solchen Vorfalls.

VossischeZeitung_8_Dez_1887.jpg
 
ein interessanter Artikel, auch wenn die Ausflüchte des Arbeitgebers/ Behörde sich zu heute nicht viel geändert haben.
Schön, dass der damalige Vorgang wenigstens für die Witwe einen positiven Ausgang hatte, denn damals waren die Männer Alleinernährer für die Familien.
Danke Stedeleben!
mfg
fp
 
Unter dem recht doppeldeutigen Titel "Am Dampfen" veröffentlichte eine überregionale Tageszeitung am 1. April 2016 einen Atikel, in dem ich schrieb:

"
Als Dr. Stryck vor nunmehr 130 Jahren in der Adalbertstraße 74 ein Mietshaus mit üppiger neoklassizistischer Fassade erwirbt, existiert die Verfügung noch nicht, in der das Königliche Polizei-Präsidium ihm am 22. Dezember 1886 und erneut am 18. Februar 1887 aufgibt, im Quergebäude 'für die Herstellung von noch 2 Klosetts Sorge zu tragen, da dort nur 2 Klosetts vorhanden und auf jede dieser Anlagen die Bewohner von 10 Wohnungen angewiesen seien'. Dr. Stryck sieht gute Chancen, die Sache bei Gericht abzuwenden. Schließlich fehlt in der Polizeiverordnung, die seit 1874 zum Anschluß jedes Hauses an Kanalisation und städtische Wasserversorgung zwingt, eine konkrete Mindestanzahl von Toiletten pro Bewohner. Wie ungünstig, daß Strycks am 5. März 1887 eingereichte Klage gegen das Präsidium auch in die Lindenstraße 69 gelangt, zur antisemitischen Staatsbürger-Zeitung, die sie am 7. April 1887 in Gänze druckt. Ausgerechnet jetzt! Stryck hat dem Organ für das Volk der erwerbstätigen, unbemittelten Klassen ein Sittenbild von oben beschert." Denn Dr. Carl Albert Stryck hatte penibel vorgerechnet, wer wann, wie oft und wie lange ein Klosett eigentlich nicht benötigt und dabei großzügig vorausgesetzt, „daß jede Person täglich einmal Stuhlgang hat, was bekanntlich insbesondere bei den Frauen nicht der Fall ist, von denen die meisten nur alle 2-3 Tage einmal Stuhlgang haben“.

Dr. Stryck verlor seinen Prozeß und wurde genötigt, zwei weitere Toiletten einzurichten.

Warum ich darauf komme? Jener Dr. Stryck war nicht nur Arzt und Besitzer etlicher Berliner Mietshäuser mit entsetzlichen hygienischen Verhältnissen, sondern auch Mitgründer einer Bahngesellschaft. Privat zog er 1888 nach Seehof/Teltow. Ich darf mich nochmals zitieren:

"Die Kreisstadt dämmert abseits der Gleise zwischen Berlin-Potsdam-Magdeburger Eisenbahn und Anhalter Bahn vor sich hin. Einer der beiden Grundbesitzer von Seehof, die darum 1887 mit dem Bürgermeister von Teltow und dem Herren auf Gut Schönow die 'Aktiengesellschaft Dampfstraßenbahn Groß-Lichterfelde (Anhalter Bahnhof)-Seehof-Teltow' gründen, ist derselbe Dr. Stryck, dem das Verzeichnis aller Häuser Berlins und ihrer Eigentümer 1888 erstmals ein 'außerh.' anfügt."

Und zu dieser Geschichte paßt der folgende, heute vor 130 Jahren, am 12. Dezember 1887, im Teltower Kreisblatt erschienene Schnipsel:

Teltower_Kreisblatt_12_Dez_1887.jpg

Für die ganz neugierigen Berliner noch ein Geheimtip: Am Roten Rathaus, in der östlichen Durchfahrt zum Innenhof, gedenkt eine Bronzetafel von zwei Quadratmetern aller Berliner Stadtverordneten-Vorsteher bis 1908. Kaum noch zu lesen ist der drittletzte Name: Albert Stryck. Er war, als die Polizei ihn 1886 in Sachen WC nötigte, soeben in Berlins zweithöchstes Ehrenamt gewählt worden. Er behielt es sieben Jahre.
 
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Teltower_Kreisblatt_12_Dez_1887_S6.jpg

An der oben dokumentierten Nachricht aus England erscheint aus heutiger Sicht die Nebeninformation bemerkenswert, daß seinerzeit hier und dort in Schnellzügen augenscheinlich noch Geschlechtertrennung üblich war. Ganz perdu sind „Damentheile“ in Waggons indessen auch heute nicht (mehr); selbst in Fahrzeugen des ÖPNV haben einige Länder sie bereits wieder eingeführt, um Frauen vor männlichen Übergriffen zu schützen.

Ferner wird man jungen Menschen von heute schon erklären müssen, was ein Perron ist, wozu ein Muff diente, daß es sich bei einem „Toilettestück“ mitnichten um ein Stück Seife, sondern um Kleidung handelte und daß ein „Salon-Coupé“ kein teures Automobil bezeichnete.

Die Protagonistin Leona Dare (1854-1922) war im übrigen die berühmteste Trapezkünstlerin und Luft-Akrobatin ihrer Zeit; ihre Vorführungen an schwebenden Heißluft-Ballons waren spektakulär. Man bewarb sie sehr exotisch als „Königin der Antillen“ oder „Stolz von Madrid“, obwohl sie (wahrscheinlich) gebürtige New Yorkerin war und bürgerlich Susan Adeline Stuart hieß.

Gedruckt hat diese aufsehenerregende Episode wiederum das Teltower Kreisblatt; sie erschien am 12. Dezember 1887 auf Seite 6.
 
Schon immer war eine gute Zeitung um anwaltschaftlichen Journalismus im Dienste ihrer Leser sowie um konstruktive Kritik bemüht. Womöglich geriet der kurze Kommentar aus der Vossischen Zeitung vom Nikolaustag 1887 aber auch lediglich dadurch in die Rubrik "Lokales", daß ein Korrespondent des Blattes auf seiner Reise von Berlin-Friedrichstraße nach Köln auf so unnötige wie unüberwindliche Hindernisse bei der Verrichtung seiner "Nothdurft" gestoßen und die Sache buchstäblich in die Hose gegangen war ...
 

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Bevor das Jahr zuende geht, wollen wir nochmals in die bis heute beliebte Zeitungsrubrik "Vermischtes" blicken. Sogar die Fachpresse ließ sich dieses unterhaltsame Potpourri aus den (zumeist) Sphären der Reichen und Schönen und Mächtigen ungern entgehen, das für einen Großteil der Leserbindung sorgte. In diesem Falle ist es die Berliner Gerichts-Zeitung, die am 8. Dezember 1887 vom tragischen Suizidversuch einer umnachteten Fürstin berichtete.

Berliner_Gerichts-Zeitung_08_Dez_1887.jpg

Der Sturz aus dem Klosettfenster 1. Klasse sorgte seinerzeit wochenlang für Aufsehen. Noch das kleinste Provinzblatt ließ es sich anglegen sein, seine Leser diesbezüglich auf dem laufenden zu halten. So auch die Wöchentlichen Anzeigen für das Fürstentum Ratzeburg, die sich am 20. Dezember 1887 als ebenso gut informiert über den verwandtschaftlichen Hintergrund der Fürstin zeigten wie über den lädierten Zustand ihres hochwohlgeborenen Antlitzes.

Woechentliche_Anzeigen_ fuer_das_Fuerstenthum_Ratzeburg_20_Dez_1887.jpg

Beim erwähnten Vater der Verunfallten handelte es sich im übrigen um den am 1. August 1887 verstorbenen Geheimrat des Zaren Alexander III. und erzkonservativen Chefredakteur der Moskauer Zeitung, Michael Nikiforowitsch Katkow.
 
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